Die chronisch-venöse Insuffizienz (CVI) ist eine Erkrankung der Beinvenen, die zu schweren Venen- und Hautveränderungen bis hin zu chronischen Wunden führen kann. Bislang wurde die Erkrankung vorwiegend als ein ästhetisches und lokales Problem der Venen betrachtet. Jedoch zeigen neue Daten, dass die chronische Venenschwäche mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie einer höheren Sterblichkeit einhergeht. Diese bisher unbekannten Erkenntnisse von Wissenschaftler:innen des Centrums für Thrombose und Hämostase (CTH) der Universitätsmedizin Mainz und des Deutschen Zentrums für Herzkreislaufforschung (DZHK) legen nahe, die CVI zukünftig als Vorhersagekriterium für das Auftreten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu nutzen. Die Ergebnisse der Mainzer Studie wurden jetzt in der Fachzeitschrift „European Heart Journal“ veröffentlicht.
„Unsere Untersuchung ist die erste und umfangreichste bevölkerungsbezogene Studie, die systematisch das gesamte Spektrum der Veneninsuffizienz untersucht und in Verbindung mit etablierten Herz-Kreislauf-Erkrankungen auswertet“, erläutert Dr. Jürgen Prochaska, Oberarzt am Zentrum für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz und Arbeitsgruppenleiter am CTH.
„Wir konnten zeigen, dass die chronisch-venöse Insuffizienz ausgesprochen verbreitet ist: Bei rund 41 Prozent der 40- bis 80-jährigen Probanden der bevölkerungsbasierten Gutenberg-Gesundheitsstudie (GHS) wurde eine symptomatische chronische Venenschwäche mit Ödemen, Hautveränderungen oder offenen Wunden der unteren Gliedmaßen diagnostiziert.“ Die Studiendaten belegen, dass die Häufigkeit der chronisch-venösen Insuffizienz mit zunehmendem Alter deutlich ansteigt. Während bei den 40- bis 50-Jährigen mehr als jeder Fünfte betroffen ist, sind es bei den 70- bis 80-Jährigen sogar mehr als zwei Drittel. Eine weitere Erkenntnis der Studie: Frauen erkranken etwas häufiger als Männer.
Zudem stellte das Mainzer Forscherteam fest, dass Personen mit einer chronisch-venösen Insuffizienz mit einer etwa 60 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit gleichzeitig eine schwere Herz-Kreislauf-Erkrankung aufweisen als Personen mit gleichem Alter und Geschlecht ohne CVI. Die Wissenschaftler:innen konnten darüber hinaus zeigen, dass das Risiko, in den nächsten zehn Jahren an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Herzschwäche oder der Herzrhythmusstörung Vorhofflimmern zu erkranken, bei Personen mit CVI fast doppelt so hoch ist wie bei Personen ohne Zeichen einer Venenschwäche.
„Unsere Daten offenbaren eine weitere alarmierende Erkenntnis“, betont Univ.-Prof. Dr. Philipp Wild, Leiter der Präventiven Kardiologie am Zentrum für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz und Leiter der Klinischen Epidemiologie und Systemmedizin am CTH. „Wir haben in der Studie nachgewiesen, dass die Gesamtsterblichkeit über alle Todesursachen hinweg bei Menschen mit chronisch-venöser Insuffizienz unabhängig von allen anderen Faktoren, wie etwa Alter, Geschlecht, Risikofaktoren und Begleiterkrankungen, deutlich erhöht ist. Dies unterstreicht in Verbindung mit der hohen Verbreitung die Notwendigkeit, die Krankheit ernst zu nehmen und als möglichen Indikator für das Vorliegen einer kardiovaskulären Erkrankung zu nutzen.“ Die Sterblichkeit von Personen mit fortgeschrittener Venenschwäche war im Beobachtungszeitraum von etwas mehr als sechs Jahren um etwa das 1,7-fache höher als bei Personen ohne diese Erkrankung.
Der Direktor des Zentrums für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz, Univ.-Prof. Dr. Thomas Münzel, sieht die gemeinsamen kardiovaskulären Risikofaktoren als eine mögliche Ursache für die Verbindung zwischen arterieller und venöser Erkrankung: „Unsere Daten weisen darauf hin, dass klassische Risikofaktoren für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung, beispielsweise Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Übergewicht oder Rauchen, zu einer fortgeschrittenen Venenschwäche beitragen. Mit der Diagnose einer chronisch-venösen Insuffizienz sollte daher immer auch nach Risikofaktoren und Herz-Kreislauf-Erkrankungen gesucht werden.“
Die Wissenschaftler:innen teilten die erhobenen Befunde zu den Venenveränderungen systematisch nach Schweregraden ein. Diese reichten von keinen Zeichen einer Venenveränderung bis hin zum Vorliegen einer sehr fortgeschrittenen Veneninsuffizienz. Bei einer deutlichen Mehrheit von rund 90 Prozent zeigte sich eine Venenveränderung: 36,5 Prozent der Personen hatten eine sogenannte Varikosis (z. B. Besenreiser) und 13,3 Prozent wiesen Varizen (Krampfadern) auf. Beides sind Venenveränderungen, die häufig im Laufe des Lebens zu einer fortgeschrittenen Venenschwäche führen. Mit einem Anteil von 40,8 Prozent aller untersuchten Personen wies ein hoher Anteil eine manifeste chronisch-venöse Insuffizienz auf.
Für die Untersuchung wurden die Daten von rund 12.400 Teilnehmenden der Gutenberg-Gesundheitsstudie (GHS) aus Mainz und dem Landkreis Mainz-Bingen sowie von mehr als 2.400 Teilnehmenden der MyoVasc-Studie berücksichtigt. Die Bestimmung des Schweregrads einer Venenveränderung wurde mittels standardisierter digitaler Bildaufnahme, einer klinischen Untersuchung der Beine und per Befragung zu typischen Symptomen erhoben. Zudem lagen Daten zu kardiovaskulären Risikofaktoren und Begleiterkrankungen für alle Studienteilnehmenden vor.
Originalpublikation:
Prochaska JH, Arnold N, Falcke A, Kopp S, Schulz A, Buch G, Moll S, Panova-Noeva M, Jünger C, Eggebrecht L, Pfeiffer N, Beutel M, Binder H, Grabbe S, Lackner KJ, Ten Cate-Hoek A, Espinola-Klein C, Münzel T, Wild PS. Chronic venous insufficiency, cardiovascular disease, and mortality: a population study. Eur Heart J. 2021 Aug 13:ehab495. Online ahead of print. PMID: 34132336.
DOI: 10.1093/eurheartj/ehab495
Schönere Beine, längeres Leben?
Forschende der Universitätsmedizin Mainz gewinnen neue Erkenntnisse zur chronischen Venenschwäche
Neue Daten aus Mainz zeigen, dass die chronische
Venenschwäche mit einem erhöhten Risiko
für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie einer
höheren Sterblichkeit einhergeht.
Univ.-Prof. Dr. Philipp Wild, Dr. Jürgen Prochaska
Foto: Universitätsmedizin Mainz / Thomas Böhm
Venenschwäche mit einem erhöhten Risiko
für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie einer
höheren Sterblichkeit einhergeht.
Univ.-Prof. Dr. Philipp Wild, Dr. Jürgen Prochaska
Foto: Universitätsmedizin Mainz / Thomas Böhm